Zum Konzert am 31.10.2015 (Reformationstag) - 1225 JAHRE KRIFTEL

Faust zu Gast in Kriftel – zweite Rezitation mit Programm

Man hat es öfters rühmen hören. Entsprechend groß waren die Erwartungen: Bereits vor einem halben Jahr hatte der Journalist Wilhelm Meyer mit einer ungewöhnlichen Veranstaltung im Rat- und Bürgerhaus großen Erfolg gehabt. Der „Osterspaziergang“ aus Goethes „Faust“ war damals Angelpunkt eines Nachmittags, an dem Meyer abwechselnd rezitierend oder im Dialog mit Bürgermeister Christian Seitz in der Rolle der „Lustigen Person“ das anwesende Publikum mal in ehrfürchtiges Erstaunen versetzte und mal zum Lachen brachte.

Vorgetragen wurden Texte aus dem Werk des Dichterfürsten im Wechsel mit einigen humoristischen Ergänzungen Meyers. Und alles komplett auswendig. Angereichert mit thematisch passender Musik, die unter der Leitung von Dietmar Vollmert durch mehrere Gesangssolisten beigetragen wurde, war ein Ganzes entstanden, das seines Gleichen in der Region suchte. Es war ein ganz besonderes Geschenk an die Gemeinde und ihre Bürger zu einem nicht ganz runden Jubiläum: 1225 Jahre urkundliche Ersterwähnung der Gemeinde Kriftel.
Gut sechs Monate später, hatte Meyer zu „der Tragödie zweiten Teil“ am Reformationstag geladen. Während sich draußen gruselig verkleidete Halloween-Kinder in die einbrechende Dunkelheit aufmachten, füllte sich im Bürgerhaus das Foyer bis auf den letzten Platz. Auf herbstlich dekorierten Tischen standen Wein, alkoholfreie Getränke und Gebäck zum freien Verzehr bereit. Der Eintritt war frei, Spenden zugunsten der Bürgerstiftung Kriftel wurden erbeten. Das Programm versprach neben Meyers Rezitationen wieder die Mitwirkung von Christian Seitz, Norbert Henß am Flügel, und für den Gesang Olesja Burghof (Sopran) und Carsten Vollmert (Bariton). Eine weitere Sopranistin, Britta Stegmann, war leider kurzfristig erkrankt. Dafür bereicherte diesmal die Englischhornistin Heidrun Molge die musikalischen Einlagen. Sie umrahmte gemeinsam mit Norbert Henß die Veranstaltung, indem sie einleitend den dritten Satz eines Werkes von Carlo Yvon „Sonate für Englischhorn und Klavier“ sowie zum Ausklang noch einen weiteren Satz daraus spielte. Die beiden Sänger interpretierten Arien und Lieder zum Thema „Faust“ und Goethe. Olesja Burghof brillierte mit der so genannten „Juwelenarie“ aus der Oper "Faust" von Charles Gounod und trugmit ihrer schönen Stimme nach der Pause Peter Tschaikowskys "Nur wer die Sehnsucht kennt", in der Originalsprache Russisch vor. Carsten Vollmert sang Hugo Wolfs Vertonung von Goethes "Der Rattenfänger" sowie "Son lo spirito che nega" aus Arrigo Boitos Oper „Mefistofele“ sängerisch grandios und mit sichtlicher Spielfreude am Diabolischen. Pianist Norbert Henß begleitete die in Kriftel von vielen Konzerten bekannten Künstler virtuos am Flügel.
Das gesprochene Wort kam überwiegend von Wilhelm Meyer. Er wand mittels Rezitationen und erklärender Überleitungen einen roten Faden durch das Werk, das er damit in seinen Grundzügen von Anfang bis Ende vorstellte. Aus den fünf Akten konzentrierte er sich vornehmlich auf das Wirken Fausts. Dem Publikum versprach er einen Hochgenuss an Sprache und Dichtung. In der gekürzten Fassung sollte sowohl das Wichtige des Inhalts als auch die Schönheit und Poesie der Form zur Geltung kommen, ohne ein Verstümmeln der jeweiligen Rollen und Ideen in Kauf zu nehmen. Lieber verzichtete er darauf, “jeden Ast zu besteigen, den Goethe seinem Werk anbindet“.
Meyer begann seinen Vortrag mit der Wiederholung von Auszügen aus dem ersten Teil des Werkes: Dem „Prolog im Himmel“, einem Auszug aus dem „Vorspiel auf dem Theater“ sowie der letzten Szene „Kerker“, mit der er den Bezug zu „Ariels Gesang“ am Beginn des zweiten Teiles herstellte und so für eine nahtlose Überblendung sorgte. So wird denn Faust II erst einmal von seinen bitteren Erinnerungen an Gretchens Ende sowie seinen Schuldgefühlen durch gute Geister völlig befreit. „Vollbringt der Elfen schönste Pflicht: Gebt ihn zurück dem heiligen Licht!“    
Von alten Lasten derart befreit, bricht Faust sogleich zu neuen Taten auf. „Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen, zum höchsten Dasein immerfort zu streben.“
Es folgten Textpassagen über die gemeinsame Reise des Protagonisten und Mephisto durch Raum und Zeit, beispielsweise an den mittelalterlichen Hof des Kaisers, ins antike Griechenland oder in die gotische Studierstube, wo Wagner einen Menschen erschaffen wollte, bis hin zu Fausts Tod und Erlösung. Denn: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“. Das Publikum lauschte gebannt.
Aufgelockert wurde der anspruchsvolle Stoff zwischendurch wiederholt mittels amüsanter Dialoge zwischen Wilhelm Meyer und Christian Seitz, der sich gleich über seine „Beförderung“ zum „Doktor Wagner, dem ersten der Gelehrten“ freute. Die beiden sinnierten über das Werk, die Weisheit und die Wette – ergänzt um aktuelle Bezüge zur Gegenwartskultur Fußball, was für viel Heiterkeit im Saal sorgte. Auch seine Träumereien in Bezug auf den Status einer Kreisstadt mit Ortsteil Hofheim, einer Straßenbahn, die bis zum Linsenberg fährt oder einer B 519 als Fahrradweg sorgten im Zuschauerraum für ausgelassene Auflockerung. Zusätzlich gab es auch Wissenswertes zu hören, wie etwa, dass Goethe im Dialekt gedichtet und seine Reime ins Hochdeutsche hatte übertragen lassen. Zum Dank an seinen Dialogpartner widmete Meyer ihm zum Schluss ein paar Zeilen aus der „Zueignung“, eine Textpassage, die es Christian Seitz besonders angetan hat. Mit einem kurzen Epilog endete der grandiose Vortrag. „Das Unbeschreibliche, hier ist es getan, das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“
Der gelernte Journalist Meyer sprach sämtliche Texte auswendig ohne auch nur ein einziges Mal ins Stocken zu geraten. Wie ist so eine Leistung möglich? „Erst den Text zusammenstellen. Dann auswendig lernen, bis er sitzt. Üben und wiederholen. Im Detail und das Ganze. Bis zu 90 Minuten täglich. Es braucht gut ein Jahr Vorbereitung und Übung meinerseits“, so Meyer. Diese große Liebe zu schöner Sprache brachte ihm ebenso viel Bewunderung wie Begeisterung eines treuen Publikums ein. Entsprechend lang und von „Bravo“-Rufen begleitet war der Schlussapplaus. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es für „Faust“-Neulinge stellenweise ein wenig schwierig war, die vielen verschiedenen Rollen voneinander zu unterscheiden.
Abschließend dankte Christian Seitz allen Protagonisten und ganz besonders Wilhelm Meyer, der ihm und allen im Saal versprach: „Beim nächsten Jubiläum bin ich wieder dabei!“

(Christine Diegelmann)